
Kontext Gesellschaft: Makrokontext
In diesem Kapitel geht es um die Frage, in welchem Zusammenhang die Gesellschaft und die Informatik stehen. Dies steht im Kontrast zu den Organisationen, die bisher betrachtet wurden.
Was bedeutet Gesellschaft
Um die Beziehung von Informatik und Gesellschaft zu betrachten, muss zunächst definiert werden, was eine Gesellschaft ist. Wichtige Merkmale scheinen dabei auf jeden Fall zu sein, dass es sich
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um eine Gruppe von Personen handelt, die
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eine bestimmte Eigenschaft oder ein bestimmtes Verhalten teilen
Diese Definition ist aber noch sehr vage und soll formalisiert werden. Genau dies ist die Aufgabe der Soziologie. Soziologie beschäftigt sich genau mit der Gesellschaft und der Interaktion mit Individuen, verschiedenen Gesellschaftsformen und dem Wandel der Gesellschaft. In der Soziologie haben sich zwei Definitionen durchgesetzt:
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Emil Durkheim hat durch eine "Suizid-Studie" herausgefunden, dass die Selbstmord-Raten während der französischen Revolution deutlich angestiegen sind. Daraus hat er geschlussfolgert, dass der Mensch offenbar abhängig von der Gesellschaft ist (Abhängigkeit des Individuums von kollektiver Moral, Werten und Normen). Wird die Gesellschaft massiv verändert, sind plötzlich unverhältnismäßig viele Menschen nicht mehr gesellschaftskonform.
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Entwicklung der Gesellschaft als evolutionärer Prozess (segmentierte Gesellschaft -> arbeitsteilige Gesellschaft)
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Gesellschaft als Realität sui generis (Wirklichkeit eigener Art) / mehr als die Summe der Einzelnen
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Dieser Definition steht die Theorie von Max Weber gegenüber. Dieser sieht die Gesellschaft als ein Ergebnis des Zusammenwirkens individueller Handlungen.
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Verstehen der Gesellschaft durch das Erklären „sozialen Handelns“ (Handeln (Tun/Unterlassen/Dulden) mit anderen Individuen)
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Einbettung des soziales Handeln in Sinnsystemen (z.B. Religion)
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Im Kontext der Informatik sind nun bestimmte Aspekte wichtig. Daher ist unsere Definition von Gesellschaft (Soziologie):
Es fällt auf, dass diese Definition fast genauso auch für Organisationen verwendet werden kann. Daher muss man explizit zwischen diesen und einer Gesellschaft trennen. Das entscheidende Merkmal ist dabei, dass man sich bewusst dazu entscheidet, einer Organisation beizutreten. Einer Gesellschaft wird man aufgrund von (unbekannten) Kriterien durch andere zugeordnet, ohne dass man sich bewusst dazu entschließt. Eine Gesellschaft besteht aus den beiden Komponenten Strukturen und Handlungen von Individuen. Die Informatik hat Auswirkungen auf beide. Diese werden im Folgenden betrachtet.
Gesellschaft begegnet uns heute in vielfältiger Form
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Digitale Gesellschaft
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Dienstleistungsgesellschaft
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Cybergesellschaft
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Wissensgesellschaft
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Risikogesellschaft
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Freizeitgesellschaft
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Industriegesellschaft
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Klassengesellschaft
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Spaßgesellschaft
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Netzwerkgesellschaft
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Weltgesellschaft
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Informationsgesellschaft
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Nivellierte Mittelstandsgesellschaft
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Konsumgesellschaft

Gesellschaft ist eine Realität sui generis und die Strukturen (Moral, Werte und Normen) der Gesellschaft bestimmen das Individuum
Gesellschaft ist das Ergebnis individueller, sinnvoller sozialer Handlungen.
Eine Gesellschaft ist eine durch veränderliche, unterschiedliche Merkmale (Strukturen) zusammengefasste und abgegrenzte Anzahl von Personen, die als sozial Handelnde (Akteure) miteinander verknüpft leben und direkt oder indirekt sozial interagieren (Handlungen)
IT und Handlungen
IT steht in ständiger Wechselwirkung mit Handlungen. Dies entspricht genau dem Kontext Handlung von Unternehmen. Besonders wichtig ist hier, dass immer zuerst eine Dekontextualisierung stattfindet, dann die IT das Problem bearbeitet und dann eine Rekontextualisierung stattfindet. So ist er Arbeitsweg der IT fast vollständig vom Nutzer getrennt, obwohl das IT-System möglicherweise sehr eng mit dem Nutzer zusammenarbeitet.

IT und Strukturen
Strukturen in einer Gesellschaft sind allgemein gültige Werte, die auf eine Weise festgehalten sind. Betrachtet man die Gesellschaft der Bevölkerung eines Landes, sind hier die allgemeinen Werte und Normen sowie die Moral gemeint.
Strukturen beeinflussen die Informatik
Natürlich stellen die Strukturen einer Gesellschaft Grenzen für die Wirkung der Informatik dar. In Deutschland sind diese Grenzen durch Gesetze geregelt. Eines der Gesetze, die einen enormen Einfluss auf die Informatik haben, ist das Grundrecht auf Informationelle Selbstbestimmung.
Woher kommt dieses Grundrecht?


Grundrecht der Informetionellen Selbstbestimmung
Dieses Grundrecht steht nicht explizit im Grundgesetzbuch. Allerdings lässt es sich direkt aus den ersten beiden Artikeln des Grundgesetzes ableiten. Das zeigt der folgende Vorfall:1981 wurde eine Volkszählung der deutschen Bevölkerung in Auftrag gegeben. Diese sollte neben den Namen auch Adressen, Berufe und viele weitere Informationen erfassen. Dagegen gab es in der Bevölkerung massive Proteste, da diese Art der Datenerfassung dem Grundrecht auf freie Entfaltung und Meinungsäußerung widerspricht. Daher wurde am 15.12.1983 das folgende Urteil gefällt:

Aufgrund dieses Urteils gibt es gesetzliche Regelungen für den Datenschutz. Diese besagen, dass so wenig wie möglich personenbezogene Daten erhoben werden sollen. Da dies aber im Konflikt mit dem steht, was viele Unternehmen wollen, gibt es Verantwortliche, die Beauftragten für Datenschutz (in Deutschland ist aktuell Andrea Voßhoff die Bundesbeauftragte für den Datenschutz und die Informationssicherheit.


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personenbezogene Daten sollen so wenig wie möglich erhoben, verarbeitet und genutzt werden.
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personenbezogene Daten müssen anonymisiert oder pseudonymisiert werden



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Ordnungswidrigkeit Absatz 1: Geldbuße bis zu 50.000 Euro
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Ordnungswidrigkeit Absatz 2: Geldbuße bis zu 300.000 Euro
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Geldbuße soll wirtschaftlichen Vorteil, den der Täter aus der Ordnungswidrigkeit gezogen hat, übersteigen

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Einzelner darf über die Preisgabe und Verwendung seiner persönlichen Daten grundsätzlich selbst bestimmen (insoweit die Befugnis des Einzelnen)
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Einschränkungen des Rechts (auf informationelle Selbstbestimmung) nur im überwiegenden Allgemeininteresse zulässig.
Safe Harbor
Das Datenschutzgesetz in Deutschland war eines der ersten seiner Art. Internationale Unternehmen haben dies aber häufig misachtet. Aufgrund vieler Beschwerden wurde 1995 von der EU-Kommission ein Verbot der Übermittlung personenbezogener Daten aus Mitgliedsstaaten in Länder verhängt, die nicht mindestens ein gewisses Schutzniveau im Datenschutz haben. Die EU-Kommission entscheidet selbst, ob dieses Schutzniveau besteht oder nicht.
Safe Harbor ist nun eine Liste von US-Unternehmen, die den europäischen Datenschutzbestimmungen entsprechen (Safe Harbor Principles). Wie aber der Fall Snowden gezeigt hat, ist das Schutzniveau der USA nicht gewährleistet. In demselben Urteil wurde auch festgehalten, dass es nicht richtig ist, dass die EU-Kommission das Schutznieveau beurteilt.
Grundrecht der informationellen Selbstbestimmung und das Bundesdatenschutzgesetz setzen Rahmenbedingungen für die Informatik/IT
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Beschränkung der Möglichkeiten
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Vorgabe von Prinzipien
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Notwendige Rollen / Personen
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Sanktionierung bei Nichtbeachtung
Weitere zu beachtende Gesetze für den Datenschutz (unter anderem):
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Europäisches Datenschutzrecht
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Datenschutzgesetze der Bundesländer
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Sozialgesetzbuch
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Telekommunikationsgesetz
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Telemediengesetz
> Durchsetzung der Rechte eventuell schwierig.
Leitbilder in der Gesellschaft - Bild von der Informatik
Im Kontext Gesellschaft stellt sich auch die Frage, welches Bild die Gesellschaft von der Informatik und den damit verbundenen Menschen hat. In einem Wort werden diese noch heute oft als Nerds angesehen. Auch wenn sich das Bild bereits deutlich gebessert hat, ist es weiterhin so, dass es einen starken Fokus auf negative Aspekte von Informatikern bzw. Nerds gibt.

Persönlichkeiten der Informatik
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Ada Lovelace
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Grace Hopper
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Steve Jobs
Strukturen beeinflussen die Informatik
Beeinflussung der Informatik durch
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Gesetze
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Werte/ Leitbilder/ Kultur
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Arbeitsmarkt
Die Informatik beeinflusst Strukturen
Umgekehrt hat die Informatik natürlich auch einen enormen Einfluss auf die gesellschaftlichen Strukturen. Insbesondere der Begriff Web 2.0 ist hier geläufig. Aber auch auf politischer Ebene hat die Informatik bereits einen großen Einfluss
> Gesellschaftliche Strukturen setzen Rahmenbedingungen für die Informatik/IT.

Web 2.0
Der Begriff Web 2.0 ist 2004 entstanden. Dies bezeichnet den Trend, dass technische(informatische) Geräte immer omnipräsenter werden. Generell ist es so, dass sich das Freizeit- und Konsumverhalten vieler Menschen durch die IT stark verändert
Unterstützung/Ermöglichung politischer Veränderungsprozesse
Auch in der Politik hat die Informatik in den letzten Jahren bedeutend an Einfluss gewonnen. So hat die Informatik bedeutend beim "Arabischen Frühling" mitgewirkt. Hier wirkt sich die Dezentralität und die Weltoffenheit des Internets extrem positiv aus. Außerdem ist es eine Informationsquelle, die im Gegensatz zu den staatlichen Medien nicht zensiert ist.
Andererseits ist es für Regierungen natürlich auch möglich die IT für Kontrolle, Spionage oder Zensur einzusetzen. Auch hier hat der Fall Snowden sehr deutlich gemacht, wie groß der Einfluss der IT tatsächlich sein kann
Internetsucht
Der Begriff Internetsucht ist ein Zeichen dafür, wie sehr das Kommunikationsverhalten durch die IT beeinflusst wird. Dies geht sogar so weit, dass sich ein Begriff für die krankhafte Verwendung von IT eingebürgert hat. Laut einer 2011 durchgeführten Studie leiden etwa 560.000 Menschen in Deutschland an dieser Krankheit. Eine aktuelle Studie zeigt, dass 85% der Kinder das Internet täglich für Videos und Spiele nutzen. 49% der entsprechenden Eltern sagen, dass ihre Kinder länger als vorgesehen im Internet unterwegs sind.
IT und Gesellschaft
Insgesamt wurde gezeigt, dass die Informatik fest in die Gesellschaft eingebettet ist. Gesellschaft und IT verändern sich konstant gegenseitig. Auch werden durch die IT neue (digitale) Gesellschaften erschaffen.
